Unsere 8-teilige Reihe zum Thema MARCH Algorithmus
Disclaimer! Dieser und die folgenden Beiträge der MARCH-Reihe sind für den Blog und den Newsletter kurzgefasst und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Absicht dieser Beiträge ist es, einen allgemeinen Überblick in die Untersuchung und Versorgung nach MARCH zu geben.
Aus Gründen der Leserlichkeit werden in diesem und in den folgenden Beiträgen die militärische Bezeichnung „Verwundeter“ (für Verletzter/Patient) und das generische Maskulinum verwendet.
Im letzten Beitrag wurden die Versorgungsphasen „Care under Fire“ und „Tactical Field Care“ in Zusammenhang mit dem ersten Punkt im Versorgungsalgorithmus „MARCH“ – Massive Hemorrage – behandelt. Unser getroffener Kamerad der Fallschirmjägerpatroullie wurde unter Feuerüberlegenheit in die erste Deckung, hinter einen Mauerrest, verbracht und dort vom Ersthelfer und dem Medic mit einem Tourniquet am rechten Oberschenkel (Blutung steht) versorgt. Außerdem wurden ein Blood Sweep und eine Bewusstseinskontrolle mittels AVPU (U) durchgeführt. Doch wie geht es nun weiter?
Tipp: Lies dir den letzten Blogbeitrag samt Verwundetenkarte durch, um dich noch einmal in den Versorgungsphasen zu orientieren
„Er reagiert nicht, aber die Blutung steht“, sagt der Medic zum Ersthelfer. „Unterstütz‘ die Kameraden, ich komme hier zurecht.“
Der Ersthelfer verschiebt sich entlang des Mauerrestes, um wieder in die Sicherung zu gehen, während der Medic laut vernehmbar meldet: „Wir haben einen CAT-A. Einen CAT-A!“
„Ein CAT-A – verstanden!“, kommt es vom Gruppenführer zurück. „Arbeite weiter, ich gebe dir Bescheid, falls wir uns verschieben“, wirft dieser noch hinterher.
„Verstanden“, bestätigt der Medic und beginnt, weiter in seinem MARCH-Schema zu arbeiten.
Er entfernt das Tuch, mit dem der Kamerad Nase und Mund gegen den Staub schützt und überprüft mit genauem Blick das Gesicht und den Hals auf Verletzungen, die den Atemweg gefährden könnten. Dann öffnet er den Mund und führt die Sichtkontrolle durch, bevor er den Kopf überstreckt und abermals in den Mund- und Rachenraum schaut.
Er sichert den Atemweg initial mit einem Wendl-Tubus, den er dem Verwundeten durch die Nase, in den Rachenraum schiebt und beugt sich dann über den Kopf des Kameraden, um die Atemfrequenz auszuzählen.
Die Atemwegkontrolle und -sicherung stand im klassischen ABCDE-Schema der zivilen Rettungsmedizin lange an allererster Stelle, was ihre Relevanz unterstreicht. Erst mit der Taktischen Medizin wurde der Fokus zunehmend auf lebensbedrohliche Blutungen gelegt, was auch in die zivile Medizin übernommen wurde.
Nichtsdestotrotz bleibt die Atemwegssicherung eine der wichtigsten, lebensrettenden Maßnahmen, denn das Blut, das durch eine adäquate Blutungskontrolle im Gefäßsystem des Verwundeten verbleibt, muss mit Sauerstoff beladen sein, damit die lebenswichtigen Organsysteme funktionieren können. Gelangt also durch einen verlegten Atemweg kein Sauerstoff in die Lunge, wo er von den roten Blutkörperchen aufgenommen werden kann, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Verwundeten stark.
Eine Atemwegskontrolle beinhaltet die äußere Inspektion (zB. auf Wunden, Schwellungen, Knochenbrüche von bspw. Kiefer oder Nase und Hämatome im Kopf-Hals-Bereich), die Mundschau und die Atemkontrolle.
Gerade im taktischen Szenario, wo Soldaten das Gesicht und den Hals mit Maske oder Schlauchschal bedecken, können einem Verengungen der unteren Atemwege (zB. durch ein großes Hämatom am Hals) leicht entgehen!
Die Mundschau wird im Optimalfall zweigeteilt durchgeführt. Zunächst wird der Mund in Normalposition des Kopfes überprüft und ggf. aufgeräumt. Erst dann erfolgt die Mund-Rachen-Kontrolle mit überstrecktem Kopf. Somit kann das Abrutschen und eine mögliche Aspiration von Gegenständen (CAVE: Snus!), Blut oder Zähnen bei Überstrecken des Kopfes verhindert werden.
Tipp: Bei ausreichenden personellen Ressourcen sollte auch in der Taktischen Medizin die Immobilisation des Verwundeten bedacht werden, wenn anhand des „Mechanism of Injury“ der Verdacht auf Wirbelsäulenverletzungen im Raum steht.
Sind also genug Helfende vorhanden, kann auch in der Taktischen Medizin der Verwundete „en bloc“ gedreht werden, um den Mundraum auszuräumen.
Das Ausräumen des Mundes sollte unter größtmöglicher Eigensicherung (zB. mit einer Magill-Zange oder zumindest mit improvisierter Kiefersperre – hierzu von außen die Wangenhaut des Verwundeten zwischen die Backenzähne drücken) erfolgen und ein Erbrechen des Verwundeten sollte möglichst verhindert werden (Aspirationsgefahr!). Es empfiehlt sich, den Kopf zur Seite zu rotieren, um einen optimalen Abfluss von Flüssigkeiten zu ermöglichen.
Zuletzt – und hiermit befindet man sich bereits am Übergang zum „R“ (Respiration – MARCH) – sollte eine Atemkontrolle durchgeführt werden (insbesondere auch nach getroffenen Maßnahmen wie zB. der Einlage eines Tubus). Hierzu wird klassisch „Hören (der Atmung), Sehen (Heben des Brustkorbes), Fühlen (an der eigenen Haut oder mit einer Hand auf dem epigastrischen Winkel des Verwundeten)“ angewandt.
Vorsicht: Trägt man einen Helm, muss ausreichend Sicherheitsabstand zu Gesicht/Nase des Verwundeten gehalten werden!
Tipp: In lautem Umfeld lohnt es sich manchmal, den Aktivgehörschutz auf „laut“ zu stellen, um die Atmung des Verwundeten besser zu beurteilen.
Die Atemwegssicherung – egal welcher Art – muss mindestens nach jeder Umlagerung des Verwundeten erneut überprüft werden. In der Taktischen Medizin stehen unterschiedliche Hilfsmittel zur Verfügung, deren Anlage und Beurteilung unterschiedlich viel Erfahrung bedarf.
Bei einem Bewusstlosen kann durch Relaxation der Muskulatur die Zunge in den Rachenraum zurückgleiten, sodass die oberen Atemwege verlegt werden und keine Luft durch die Luftröhre in die Lunge gelangen kann.
Hier kann bereits durch die korrekte Lagerung (zB. die (stabile) Seitenlage) oder „Chin Lift“-/“Jaw Thrust“-Manöver viel erreicht werden. Diese sind durch Laienhelfer gut durchzuführen, doch während des MARCHens oder des Verwundetentransports oft nicht praktikabel.
Guedl-Tuben in der Taktischen Medizin: Die in der zivilen Medizin beliebten Guedl-Tuben, werden in der Taktischen Medizin auf Grund der Dislokationsgefahr nicht empfohlen.Die erste und schnellste Alternative ist hier der „NPA“ (nasopharyngeal airway) – auch Wendl-Tubus genannt. Dieser kleine Schlauch wird durch die Nase in den Rachenraum eingeführt und ermöglicht so einen Atemweg trotz relaxierter Muskulatur (ein spannender Artikel zur gefürchteten und viel diskutierten „intrazerebralen Platzierung“ von NPAs ist hier zu lesen:
Der NPA bietet keinen Aspirationsschutz, kann dafür aber auch bei wachen Verwundeten angewendet werden.
Als Alternative bei einem tief-bewusstlosen Verwundeten, hat sich in der taktischen Medizin die supraglottische („über der Stimmritze liegend“) „iGEL“ etabliert. Diese Weiterentwicklung der Larynxmaske wird bis in den tiefen Rachen vorgeschoben, wo sie über dem „Eingang“ zur Luftröhre liegt (CAVE: Trotzdem kein sicherer Aspirationsschutz!).
Mit Annahme der Körperwärme passt sich das Tubusende an die Anatomie des Rachens an, um Leckagen und Aspirationen besser vorzubeugen. Außerdem besteht die Möglichkeit, durch einen zusätzlichen Kanal im Tubus einen Absaugekatheter einzuführen, ohne dabei das Tubuslumen zu verringern. Beim Einführen der iGEL muss darauf geachtet werden, dass nicht aus Versehen die Zunge durch den Tubus in den Rachen gedrückt wird. Außerdem muss die iGEL sehr gut gesichert werden.
Guedl-Tuben in der Taktischen Medizin:
Die in der zivilen Medizin beliebten Guedl-Tuben, werden in der Taktischen Medizin auf Grund der Dislokationsgefahr nicht empfohlen.
Die Königsdisziplin der Atemwegssicherung ist die Notfallkoniotomie. Diese ist bei Zerstörung oder nicht-reversibler Verlegung der oberen Atemwege bei Fehlschlagender (Masken-)Beatmung indiziert. Merke: „Can’t ventilate – Can’t intubate“!
Beim „CRICen“ wird der Atemweg durch das „Ligamentum cricothyroideum“ chirurgisch eröffnet und mit einem Tubus gesichert, welcher dann zwischen dem Schildknorpel und dem Ringknorpel des Larynx liegt. Diese Maßnahme mag schnell und einfach aussehen, sollte aber nur nach viel Ausbildung und Übung durchgeführt werden, da die Fehler- und Komplikationsrate sehr hoch ist (… bei Durchführung UND Indikationsstellung).
Zum Abschluss noch ein Klassiker aus der Ausbildung, der gerade in stressigen Lagen gern nicht bedacht wird: Der wache Patient mit stark blutendem Mittelgesichtstrauma. Er stöhnt, gurgelt, verschluckt sein Blut, bekommt kaum Luft und hat viele Teilnehmer von TCCC-Lehrgängen ins Schwitzen gebracht… Soll ich den schon CRICen? In den kriege ich keinen Tubus rein?! Ist ein Verwundeter wach, lohnt es sich, den Kameraden einfach genau so zu positionieren, wie er am besten Luft bekommt! In diesem Falle also vornüber gebeugt, sodass das Blut abfließt, ohne ihm die Atemwege weiter zu verlegen.
Unser Medic hat wegen der Bewusstlosigkeit des Verwundeten einen NPA geschoben, um den Atemweg während des MARCHens und eines möglichen Transports zu sichern.
In der Dokumentationskarte DD1380 sind die bisher bekannten Informationen über den Verwundeten dokumentiert. Diese wird in den nächsten Blogbeiträgen weiter ausgefüllt, während der Medic das MARCH-Schema an seinem Kameraden abarbeitet.
Im nächsten Beitrag geht es weiter mit der Respiration. Abonniere den AirMeG-Newsletter um keine Inhalte zu verpassen.
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